BÜRO WELTAUSSTELLUNG

Ausstellungsansichten Sophia Süßmilch

Fotos: Nikola Milojcevic

 

Lydia Haider zu Sophia Süßmilch: Das Gemälde: „Das Matriarchat“

Nicht weiter wunderlich, dass die sogenannte Bildende Kunst, wie sie sich darzulegen glaubt, zu einem schwerwiegenden Exitus genötigt wird. Besieht sie das Werk Sophia Sü.milchs, ruft’s: Tot! Wo gibt es hier noch Halt in sich selbst? Wo kann eine solche Riege noch fassen ihren Wert? Wo kann sie umgehen dieses Fallen derb und schief? Nirgends! Das sei betont im Angesicht dieses Gemäldes, das daselbst dem tief verankerten Vollstrecker künstlerischer Weisheit die Schamesröte ins Gesicht treibt, das Inwendige auswendig kehrt, mehr noch: nur noch auf den eigenen sehr raschen und schmerzlosen Tod zu hoffen drängt. Ja es endet mit diesem Bildnis, alle bereitete Vielfalt fährt hier selbstsicher an die Wand, kein Stein, der auf dem anderen bleibt, da es das Ende dieses Jahrtausende alten Schaffens einläutet, bereitet, vollzieht. Und aus seinem Inneren her sprengt es sich und das Genre desgleichen. Aus ist es mit alle dem! Alles Fußenvolke, wie es glaubt, sein berechtigt Teil an der Kunst abzubekommen, richtet schon das schwarze Kleid. Was bisher war: schlicht Schas. Und jetzt? Ist es aus. Jene, die das Bild betrachten, werden überrollt, überrollt von einem Haufen, einer Lawine, einer Armee, einer Hundertschaft, einer Welle an - ja was? An Macht. Ein Bildgegenstand scheint ja im Moment sehr gefragt. Darstellung ist von sich aus wert, Natur gegen den Menschen unbedeutend. Was allein die Strahlkraft eines Matriarchats, dieses goldenen Überscheins, manieristisch beerbt, z. E. d. Weiblichkeit schier, fügt sich in beeindruckende Monumentalität. Die Betrachtenden werden zurückgeworfen auf das Alpha, aufs Omega, in ein pränatales Stadium, in einen Zustand der Ohnmacht. Das Gemälde gehört naturgemäß zu keiner Serie - dieses Werk ist Ausgang, Beginn und Heimgang, Erlösung zugleich. Freilich kann von einem Einfluss auf die Entwicklung des Genres gesprochen werden. Nur: Es gibt kein Weiter, die Disziplin ferner nicht. Fazit: Schau dir das Bild an und reiß dir die Augen aus den Höhlen - du brauchst sie von nun an nicht mehr.

"Das Matriachat" Öl, Acryl auf Baumwolle, 290 x 410 cm,  2019
"Das Matriachat" Öl, Acryl auf Baumwolle, 290 x 410 cm, 2019

 

Mercedes Kornberger zu Sophia Sußmilch:
„Stilleben (Das Substrat der Kunst ist nicht politisch)“

Stellen sie sich vor- eine gewohnliche Alltagssituation eines Paares. Sie (also das bin ich in diesem Fall) hat gerade den letzten Bissen der Nudeln hinuntergeschluckt und die Gabel auf den Teller zuruckgelegt bevor eine Diskussion beginnt. Ganz schleichend spricht man zuerst uber diesen und jenen Kunstler, uber irgendeinen Mann, dessen Einstellung man nicht nachvollziehen konne, er sei schmierig und uberhaupt. Aber wir sind ja nicht so zum Gluck, da ist man sich einig. Denn wir sind frei. Aber wie frei eigentlich? Das Wort alleine engt mich schon ein, immer kleiner wird der Raum in dem wir uns befinden. Und plotzlich merke ich wie ich mich immer mehr verteidigen muss, mein Selbst. Ich weiß genau wo das Gesprach hingehen wird, denn man muss sich immer wieder wehren, sich als Frau verteidigen, einfach weil man eine ist. Und am Ende sogar noch vor dem eigenen Mann, denke ich. Und je emotionaler ich werde, desto mehr spricht er mit dieser Sprache, die jetzt direkt aus dem Horsaal ins Wohnzimmer geliefert wurde, eine einzige Leere, die unter komplizierten Wortern zuerst fein sauberlich zusammen geschachtelt und dann erstickt wird. Die Tranen tropfen auf den leeren Teller wahrend er sagt „Das Substrat der Kunst ist nicht politisch.“ Und die Frau (also ich in diesem Fall) daraufhin: „Ja, weil du dich noch nie gegen irgendetwas wehren musstest.“, mochte aber eigentlich noch viel mehr sagen. Und in allerletzter Instanz zucke ich mein Handy und lege das Bild von Sophia Sußmilch vor ihn auf den Tisch. Und auch hier und jetzt mochte ich mich darauf berufen, denn so lasst dieser Meisterwurf sich am besten beschreiben - als Waffe. Sich auf etwas berufen, damit man nicht allein ist auf der Welt, dafur bedanke ich mich bei der Kunstlerin auf diesem Wege personlich. Nicht die Große des Werkes ist hier entscheidend, sondern die Wirkung. Noch mehr als vorangegangene Sußmilch-Werke hebelt dieses hier jedes aus Mannermund kommende Gelaber sofort aus. Dieses Bild rechtfertigt die Muhen meiner und aller unserer Mutter. Und in diesem Moment, in dem Sie es betrachten werden, und auch in jenem Moment als ich es auf den Tisch legte, verschaffte es mir kostbare Zeit. Die Zeit um bei mir selbst zu bleiben. Dieses Werk wurde geschaffen um unser aller Starke zu bewahren. Und jetzt frage ich IHN ob ER sich wieder im Griff hat. Wer bekehrt denn jetzt wen? Diese Farbskala, die bei der realen Betrachtung noch intensiver wirkt, schreit ihm vom Handydisplay entgegen, wie die Blautone von meinem Unterarm, nachdem ich ihn immer wieder gegen die Tischkante geschlagen habe, mit aller Kraft, entgegen der Ungerechtigkeit. Dieselbe Kraft wurde hier auf einer Leinwand zusammengefasst. Und einen letzten Versuch wagt er noch, indem er sagt, ich sei doch seiner Meinung, ich wusste es nur noch nicht aber da lache ich in mir auf und schiebe das Bild noch naher unter seine Augen.

"Stillleben (Das Substrat der Kunst ist nicht politisch)", Öl, Acryl auf Baumwolle, 190 x 150 cm, 2019
"Stillleben (Das Substrat der Kunst ist nicht politisch)", Öl, Acryl auf Baumwolle, 190 x 150 cm, 2019

 

Clemens Setz zu „Die Menschenfresser kommen“

Rezension zu einem Gemälde von Sophia Süßmilch Man muss bekanntlich kein Gesicht besitzen, um blicken zu können. Jeder weiß, dass man sich auch von Autos, von Häuserfassaden, ja sogar von günstig mit Krähen besetzten Baumkronen durch und durch angeblickt fühlen kann. Bisweilen gehen uns solche Blicke unbeseelter Dinge bis ins Mark, oder in die Seele. Diese elementare Erkenntnis bestimmt das ungeheure neue Gemälde von Sophia Sü.milch. Als ich zum ersten Mal davorstand, hatte ich das Gefühl, von ihm durchschaut zu werden. Als säße ich in einem Verhörraum, im Schein eines Lichtkegels, und hätte mich gerade in Widersprüchen verheddert. Ich bin gewiss nicht der erste, dem so etwas widerfahren ist. Der Science-Fiction-Autor Philip K. Dick etwa entdeckte eines Tages im Sommer 1963 ein riesiges Metallgesicht im Himmel. Er hatte gerade viele Drogen gekommen, um tagelang wach zu bleiben und an seinen visionären Kurzgeschichten zu arbeiten. Dummerweise hatte er dadurch dieses riesige Metallgesicht aus den Wolken gekitzelt. An Arbeit war nicht mehr zu denken. Das Gesicht starrte ihn an. Dick musste sich in einer kleinen Hütte vor ihm verstecken. Um das Gesicht loszuwerden, zu verscheuchen oder vielleicht sogar gnädig zu stimmen, beschrieb er dessen Züge und gab sie einer Figur in seinem Roman The Three Stigmata of Palmer Eldritch. Nach Vollendung des Romans war ihm die ganze Angelegenheit allerdings so unheimlich, dass er das Manuskript nie wieder in die Hand nahm. Kunst wie das ungeheure neue Gemälde von Sophia Sü.milch kann genau das für uns sein: der Blick einer riesigen Anwesenheit, die uns unerklärlich bleibt, die uns nicht notwendigerweise verwandt ist und die uns vielleicht nicht einmal liebt, aber die uns, wie eine außerirdische Prüfungskommission, lange eindringlich studiert hat, bis sie zu einem Schluss gekommen ist. Was mag dieser Schluss, dieses Urteil sein?

"Die Menschenfresser kommen" Öl, Acryl auf Baumwolle, 155 x 150 cm, 2019
"Die Menschenfresser kommen" Öl, Acryl auf Baumwolle, 155 x 150 cm, 2019

 

Nicolas Mahler zu „Die Spürnasen“
Sophia Süssmilch:
O.T. (Chaiselounge)

Mag man der Künstlerin glauben, so hat Sie ihr Werk tatsächlich unter der Sitzfläche einer alten Chaiselounge beim Neubepolstern gefunden und nur durch minimalste Eingriffe den man möchte fast sagen „typischen“ Süssmilch-Touch gegeben. Vielleicht aber ist von einem Querverweis auf den berühmten Roman DIE 12 STÜHLE auszugehen, verfasst von den sowjetischen Schriftstellern Ilja Ilf und Jewgenij Petrow im Jahr 1928. Warum sonst sollte das Werk mit Ippolit SüssmilchWorobjaninow siginiert sein, wenn nicht als direkte Referenz an die Hauptfigur jenes Romans, dem nach der russischen Revolution versteckt lebenden ehemaligen Adligen Ippolit Worobjaninow. In dem berühmten Roman begibt sich jener Worobjaninow auf die Suche nach den Familienjuwelen, die Worobjaninows Schwiegermutter einst in einem von 12 Sesseln eingenäht hatte um sie vor dem Zugriff der Bolschewiki zu schützen. Süssmilch gibt also an, in der 13. Sitzgelegenheit fündig geworden zu sein. Für eine Chaiselounge als möglichen Fundort spricht tatsächlich das Querformat. Man könnte vorschnell von einem ungegenständlichen/gegenständlichen Kunstwerk sprechen, wurde dieses Ungegenständliche Bild doch in einem Gegenstand entdeckt, der nicht länger existiert. Betrachtet man das Bild aber genauer, also losgelöst von möglichen Fundort und der eigenartigen Hintergrundgeschichte des Bildes, entdeckt man da und dort Spuren der Schwiegermutter des Ippolit Worobjaninow. Ob diese bein Einnähen des Bildes in die Chaiselounge zustande kamen, oder von Süssmilch nachträglich ergänzt wurden, bleibt ungeklärt. Ans Licht gebracht hat die Künstlerin in jedem Fall eines, egal ob in der Chaiselounge gefunden oder selbst erschaffen : Ein Juwel der Gegenwartskunst.

"Die Spürnasen", Öl auf Baumwolle, 90 x 170 cm, 2019
"Die Spürnasen", Öl auf Baumwolle, 90 x 170 cm, 2019

 

Jopa Jotakin zu „Augenkrebs“

orges bild, viel farbe
das bild
durchdringt mich das bild
dringt in mich ein
das bild
dringt aus mir heraus
rezeptoren
rezepschleusen
rezeplöcher
das bild
reißt mir die augen auf
splitternd birst der glaskörper
die farben donnern
paintballgeschossgleich
auf meine netzhaut
brennen sehnervzerfetzend
durch gangliengänge
zertrümmern den visuellen cortex
hardcoretex
reiss ausse, de glubschkugaln
spektralfarbstacheln durchstoßen
stäbchen und zapfen
stammhirnkrachend färbt sich
die weiße substanz
die graue substanz
die psychotrope substanz -
substanzentanzen beim hirn-holi
kleinhirnkoloratur
mit glühenden pigmentfunken
brennt sich das bild
in meine großhirnrinde
die linien rasen durch meine nase
und schneiden sich tief
in den thalamus
acrylscheiben zersäbeln den
frontallappen
meine synapsen
flocken mir aus dem schädel
wie saure milch
die encephalonäre masse
eruptiert brutalbunt
aus dem kopfvulkan
ich tackere meine zunge
an den rahmen der leinwand
ich zermörsere meine ohren
auf der farbpalette
ich entsinne mich
brauche keine sinne mehr
kann endlich sinnlos sein
ich schneide mir
die haut vom rücken
spanne sie auf den keilrahmen
stelle mich
für das nächste bild zur verfügung
die farben
können meinem offenen kopfkelch
entnommen werden

"Augenkrebs", Öl auf Baumwolle, 190 x 150 cm, 2019
"Augenkrebs", Öl auf Baumwolle, 190 x 150 cm, 2019
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